Das Bundesverfassungsgericht hat heute dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz, das die sogenannte Online-Durchsuchung von Computern und anderen informationstechnischen Systeme erlauben sollte, eine deutliche Absage erteilt. Zugleich definierten die Richter ein neues Grundrecht, das den Bürger in seinem digitalen Leben weitgehend vor dem Zugriff des Staats schützt.
Mit ihrer Entscheidung stellten die Karlsruher Richter klar, daß die Gesellschaft ein berechtigtes Interesse an der Vertraulichkeit und der Integrität der informationstechnischen Systeme hat, auf die sie zunehmend angewiesen ist. Die Gedanken seien auch dann frei, wenn sie auf einem Computer gespeichert sind. Dieses Recht auf eine digitale Intimsphäre fordert der Chaos Computer Club (CCC) seit über 25 Jahren. Der Schutz des digitalen Ichs betreffe nicht nur Computer, sondern auch Telefone und sonstige vernetzte Geräte. Es bleibt zu hoffen, daß die Internetausdrucker in der Politik kein weiteres Vierteljahrhundert brauchen, bis sie dieses neue Grundrecht verinnerlichen, kommentierte der Sprecher des CCC, Dirk Engling.
In der mündlichen Urteilsbegründung betonten die Verfassungsrichter, daß auch das systematische Abgreifen von Kommunikationsdaten und die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen schwere Grundrechtseingriffe sind. Wir gehen davon aus, daß diese Bewertung auch bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Vorratsdatenspeicherung zur Anwendung kommt, sagte CCC-Sprecher Dirk Engling. Gegen die im Januar in Kraft getretene Vorratsdatenspeicherung liegen bereits mehrere Verfassungsbeschwerden vor.
Die Richter haben dem Gesetzgeber eine schallende Ohrfeige für seine grundrechtswidrige Generalermächtigung zum Ausschnüffeln von informationstechnischen Systemen aller Art verpaßt, so Dirk Engling weiter. Nur noch in sehr engen Grenzen wird das Ausspionieren von Festplatten möglich sein, das Bundesverfassungsgericht hat einen digitalen Schutzschirm über das virtuelle Ich der Menschen gespannt.
Auch die Auswertung von beschlagnahmten Daten wird sich an den Maßstäben des neuen Grundrechts orientieren müssen. Die Prozeduren der Ermittlungsbehörden bei der digitalen Beweiserhebung gehören jetzt umgehend auf den Prüfstand. Die in letzter Zeit üblich gewordene Durchfilzung von Festplatten durch Privatfirmen ist damit klar verfassungswidrig. Zudem legten die Richter fest, daß informationeller Selbstschutz durch Verschlüsselung von Daten ein Recht ist, das nur unter sehr engen Voraussetzungen ausgehebelt werden darf.
Der Chaos Computer Club war zur Karlsruher Urteilsverkündung wieder mit dem Symbol des Widerstands gegen die Online-Durchsuchung, den schwarz-rot-goldenen Bundestrojaner, angereist. Die Grünen, die zuletzt durch ihre klägliche Rolle beim Durchwinken der Spitzelgesetze Otto Schilys und ihre Zustimmung zum Hackertoolverbot auffielen, versuchten ihre neu entdeckte Liebe für die digitalen Bürgerrechte durch eine Mahnwache vor dem Gericht zu demonstrieren. Hoffentlich bleibt diese bürgerrechtsfreundliche Haltung bestehen, falls die Grünen erneut in Regierungsverantwortung stehen.
Die Juristen werden sich in den nächsten Wochen mit der Interpretation des Urteils befassen und die Folgen herausarbeiten müssen. Der Bundestrojaner wurde zwar regelrecht notgeschlachtet, doch weitere wichtige Grundrechtsentscheidungen stehen an. Wir erwarten jedoch nicht, daß Schäuble und Wiefelspütz plötzlich die Verfassung ernstnehmen. Das neue Grundrecht wird erst durch aggressive Verteidigung und Anwendung lebendig, hier sind wir alle gefragt, so Dirk Engling.