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Hamburger Wahlstift: Täuschung der Wähler

2007-12-21 16:22:00, muelli

Nachdem sich die Stadt Hamburg gegen den Einsatz des "Digitalen Wahlstift Systems" (DWS) entschieden hat, teilte der Hersteller Diagram Halbach dem Chaos Computer Club (CCC) schriftlich mit, daß das in den Schnupperwahllokalen in Hamburg vorgeführte System nicht dem tatsächlichen "Digitalen Wahlstift System" entsprach.

Beim Hamburger Wähler und allen unabhängigen Beobachtern wurde zwar der Eindruck erweckt, daß in den Schnupperwahllokalen und auf den Vorbereitungsveranstaltungen der echte Wahlstift zum Einsatz kommt. [1], [2], [3] Nach den Angaben des DWS-Herstellers Diagram Halbach war dies jedoch nicht der Fall.

Die vom CCC durchgeführten technischen Untersuchungen zur Angreifbarkeit des Systems wurden aufgrund der Äußerungen des Wahlleiters und unter der Prämisse durchgeführt, daß das vorgeführte System dem tatsächlich zur Verwendung vorgesehenen System entspricht. Sollte die Mitteilung des Herstellers des DWS über die Nichtübereinstimmung zutreffen, wurden Wähler und Öffentlichkeit absichtlich getäuscht. Der Hamburger Wahlleiter Willi Beiß war bisher hierzu nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Da ein voraussetzungsloser Zugang zu einem "echten" Wahlstiftsystem für den CCC auch nach mehrfachem Angebot der kostenlosen Prüfung an die Stadt Hamburg nicht zu erreichen war, wurden die publizierten Analysen anhand der technologischen Basiskomponenten des Systems, wie sie in den Schnupperwahllokalen zu beobachten waren, durchgeführt. Dabei handelte es sich um Digitalstifte der Firma Logitech, eine auf Windows XP basierenden Software und Testwahlbögen mit dem Anoto-Digitalstiftmuster.

Ob und in welchem Umfang technisch relevante Unterschiede zwischen dem vorgeführten und dem "echten" System bestehen, ist angesichts der immer noch nicht vorliegenden Common-Criteria-Evaluierungsberichte und dem Fehlen einer öffentlichen, vollständigen Systemdokumentation weiterhin offen. Das Vorgehen des DWS-Herstellers entspricht damit derzeit dem von der Firma NEDAP bekannten und von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt unterstützten "Security by Obscurity"-Prinzip. Gerade für ein Wahlsystem ist solch ein geheimniskrämischeres Vorgehen unangemessen.

Die Reihe der technischen Ungereimtheiten beim Hamburger Wahlstift wird unterdessen immer länger. Den Hamburger Wählern wurde etwa die Information vorenthalten, daß sich offenbar ein Bluetooth-Sender im Wahlstift befindet. Im Bericht zur Abstrahlungsuntersuchung von Markus Kuhn von der University of Cambridge ist dazu vermerkt, daß ein "im Stift enthaltener Bluetooth-Sender" vorhanden war, der lediglich softwareseitig ausgeschaltet sein soll. Gelänge es einem Angreifer, den Bluetooth-Sender im Wahlstift in Betrieb zu nehmen, könnte er das Wahlgeheimnis problemlos und ohne großen Aufwand systematisch verletzen. Die einzige andere Erklärung wäre, daß dem Gutachter ein Typ Wahlstift zur Untersuchung übergeben wurde, der tatsächlich gar nicht zum Einsatz kommen sollte. Dies würde jedoch die Abstrahlungsuntersuchung wertlos machen. Es muß also davon ausgegangen werden, daß sich tatsächlich in allen Hamburger Wahlstiften Bluetooth-Sender befinden, die prinzipiell einen verdeckten Bruch des Wahlgeheimnisses ermöglichen.

Aufgrund der prinzipiellen Systemschwächen und der vollkommen unzureichenden Dokumentation des Wahlstiftsystems begrüßt der Chaos Computer Club die mutige Entscheidung der Hamburger Bürgerschaft, auf den Einsatz des Systems vollständig zu verzichten. Solange nicht die Papierstimme als einzig gültiger Ausdruck des Wählerwillens dauerhaft festgeschrieben wird, ist der Einsatz dieses computerisierten Verfahrens – auch als Zählhilfe – nicht vertretbar.

Die Risiken der Manipulation durch Innentäter können bei computerisierten Wahlsystemen auch durch noch so ausgefeilte technische oder organisatorische Maßnahmen nicht ausgeschlossen werden, da dem einfachen Wähler eine unabhängige Überprüfung der Korrektheit der Wahl unmöglich ist. Je komplexer die Sicherheitsmechanismen desto geringer wird die Zahl derer, die das Wahlverfahren und die Auszählung noch nachvollziehen und überprüfen können.

Der Chaos Computer Club veröffentlicht die Stellungnahme an den Verfassungsausschuß der Hamburger Bürgerschaft. [4] Weiterhin ruft der CCC alle seine Mitglieder und Sympathisanten dazu auf, sich als freiwillige Wahlhelfer zu melden. Hacker zu Wahlhelfern!

Quellen: