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Verbot von Tracking und personalisierter Werbung

2024-11-20 09:31:47, henning

Überwachungswerbung missachtet die Privatsphäre und die informationelle Selbstbestimmung. Die neue EU-Kommission soll mit dem angekündigten Digital Fairness Act ein Verbot von personalisierter Werbung auf den Weg bringen.

Datenschutz ist in Europa ein Grundrecht, die klaren Prinzipien der EU-Datenschutzgrundverordnung gehören durchgesetzt. Personalisierte Werbung mit Tracking, Profilbildung oder Verhaltensanalysen sollte daher endlich als das behandelt werden, was sie ist: ein gefährlicher Manipulationsmechanismus, der nicht normalisiert werden darf. Die Fairness gegenüber den Nutzern und schon gar nicht deren Grundrechte dürfen durch solche Überwachungswerbung weiterhin ausgehebelt werden. Sie schadet dem Einzelnen und der Gesellschaft als Ganzes.

Zusammen mit der Wikimedia Deutschland, dem FifF, Germanwatch und dem Konzeptwerk Neue Ökonomie fordern wir: Die neue EU-Kommission soll ein Verbot von personalisierter Werbung auf den Weg bringen. Der erst kürzlich angekündigte Digital Fairness Act kann dafür genutzt werden, um ein Verbot von Tracking und personalisierter Werbung durchzusetzen.

Gemeinsames Positionspapier: Online-Werbung neu denken

EU-Kommission sollte beim Verbot von personalisierter Werbung vorangehen

Wenn sich digitale Angebote fast ausschließlich über personalisierte Werbung finanzieren, birgt das erhebliche Gefahren für die Demokratie, den sozialen Zusammenhalt, die informationelle Selbstbestimmung, das Klima und die nationale Sicherheit. Mit dem Gesetz über Digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) und der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hat die EU wichtige Grundsteine zum Schutz von Online-Nutzer:innen gelegt. Gleichzeitig zeigen Reaktionen großer Unternehmen auf diese Regelungen, dass ein Paradigmenwechsel im Online-Werbemarkt erforderlich bleibt, da die Freiheit vor manipulativen Praktiken durch die Werbeindustrie beharrlich untergraben wird.

Auch der kürzlich veröffentlichte Digital Fairness Check kommt zu dem Schluss, dass das EU-Verbraucher:innenrecht nicht ausreicht, um Bedenken hinsichtlich der kommerziellen Personalisierung im digitalen Raum auszuräumen. Als Teil der digitalen Infrastruktur sollten sich Plattformen von der Überwachung Einzelner zu Vermarktungszwecken lösen. Alternative (z. B. kontextbasierte) Werbemodelle eröffnen Möglichkeiten, Menschen jenseits des allgegenwärtigen Trackings und Targetings zu erreichen und sie dadurch in Datenverarbeitungsprozessen zu schützen. Um alternative Werbemodelle zu stärken, sollte die neue EU-Kommission digitale Fairness ernst nehmen und ein Verbot von personalisierter Werbung auf den Weg bringen.

Tracking für personalisierte Werbung: Riskant bis schädlich für Demokratie und Umwelt

Personalisierte Werbung finanziert heute den Großteil der Angebote im Internet. Alphabet, das Mutterunternehmen von Google, generiert nach eigenen Angaben 76 % seines Umsatzes durch Werbung, Meta, das Mutterunternehmen von Facebook und Instagram, 97 %. Online wird individuelles Verhalten für Werbezwecke detailliert verfolgt, um Werbesegmente und Profile zu erstellen. Diese dienen Verhaltensvorhersagen und personalisierter Werbeplatzierung.

Wer digitale Werbeflächen bereitstellt, lässt anhand detaillierter Informationen das Verhalten einzelner Nutzer:innen abschätzen, um Werbetreibenden eine passgenaue Vermarktung anzubieten. Diese personenbezogenen Informationen werden in der Regel über Plattformen, Webseiten, Apps und sonstige Online-Angebote, aber auch verschiedene Geräte und lange Zeiträume hinweg gesammelt und als Verkaufsgrundlage für die Versteigerung von Werbeplätzen in Echtzeit (Real Time Bidding) genutzt. Online-Verhalten zum Zweck der Personalisierung von Werbung zu verfolgen, kann aus Vermarktungssicht attraktiv sein, birgt jedoch hohe gesellschaftliche Risiken.

Die Tracking-basierte Personalisierung von Werbung …

  1. … birgt eine Gefahr für Demokratie und sozialen Zusammenhalt. Bekannte Risiken und schädliche Effekte reichen von Diskriminierung über Manipulation und Desinformation bis zu Hass und Hetze. Eine Metastudie zeigt: In Demokratien korreliert die Nutzung (oft werbefinanzierter) digitaler Medien mit gesellschaftlicher Polarisierung und dem Verlust von Vertrauen in Institutionen. Zudem kann durch die Verbreitung politischer Botschaften über Werbeanzeigen die Weltwahrnehmung Einzelner beeinflusst und damit der öffentliche Diskurs manipuliert werden. Ein populäres Beispiel hierfür ist die „Cambridge Analytica“-Kampagne zum Brexit. Bislang scheitern Plattformen wie TikTok laut einer Untersuchung daran, das Verbot von politischer Werbung umzusetzen. Über Werbezielgruppen (Segmente) wie z. B. „deutsches Militär“, „Richterin“, „Entscheidungsträgerin“ können zudem gezielt Menschen in Entscheidungspositionen verfolgt und manipuliert werden, was ein zusätzliches Sicherheitsrisiko darstellt.
  2. … missachtet die Privatsphäre und verhindert informationelle Selbstbestimmung. Der umfassenden Überwachung durch Tracking können Verbraucher:innen kaum entkommen. Sich diesem starken Eingriff in die Privatsphäre zu entziehen, ist ohne einen Verlust gesellschaftlicher Teilhabe nur schwer möglich. Es besteht ein massives Informations- und Machtungleichgewicht: Nutzer:innen können nicht nachvollziehen, wo ihre Daten erfasst, gespeichert und ausgewertet werden, während einige wenige Tech-Unternehmen den Markt dominieren. Gleichzeitig besteht die Online-Werbebranche aus einem kleinteiligen und weitverzweigten Geflecht aus Akteuren wie Werbetreibenden, Agenturen, AdTech-Unternehmen, Plattformen, Werbebörsen und -netzwerken. Zu wissen, wo welche Daten gespeichert und verarbeitet werden, ist in diesem Geflecht nicht möglich, was die informationelle Selbstbestimmung unterminiert.
  3. … steigert Europas Abhängigkeit von Big Tech und fördert Monopolbildung. Globale Tech-Konzerne vereinen große Teile des Online-Werbemarktes auf sich, wodurch sie Praktiken und Regeln maßgeblich mitbestimmen können. Beispielsweise gingen im letzten Jahr 39 % der weltweiten Ausgaben für digitale Werbung an Google, das mit weiteren Schwergewichten wie Amazon und Meta den Online-Werbemarkt dominiert. Diese seit Jahren bestehende Marktkonzentration erschwert die nachhaltige Gestaltung digitaler Plattformen und schränkt demokratische Handlungsoptionen ein. Die bestehende Monopolisierung hemmt soziale Innovationen und den Aufbau gemeinwohlorientierter Plattformen.
  4. … schadet dem Klima. Das Sammeln von Daten für Marketing verursacht einen wesentlichen Teil des rasant steigenden Energieverbrauchs durch das Internet. Tracking, Profilbildung, Vorhersage-Modelle und Datenhandel erzeugen permanent und überall enorme Datenströme, deren Verarbeitung Rechenleistung erfordert und CO₂-Emissionen erzeugt. Eine Forschungsgruppe schätzt den jährlichen Stromverbrauch durch Online-Werbung bereits 2016 auf 107 Terawattstunden – das entspricht etwa dem doppelten jährlichen Stromverbrauch Portugals. Eine weitere Studie zeigt, dass bei Gaming-Apps über 30 % und bei Wetter-Apps 4 bis 15 % des Datenverkehrs auf Third-Party-Tracking zurückgeht. Ohne den Anreiz, das Online-Verhalten für Marketing zu verfolgen, könnten klimaschädliche Datenflüsse reduziert werden. Zudem führt der zusätzlich angeregte Konsum zu weiteren Klima- und Umweltschäden. Mit einem passgenauen Zuschnitt von Werbeangeboten wird es wahrscheinlicher, dass Internetnutzer:innen zu intensiverem Konsum verleitet werden, was höhere Emissionen nach sich zieht. Zusätzlich besteht das Risiko, dass die Online-Verbreitung von Klima-Desinformation die Umsetzung dringend erforderlicher Transformationsschritte hemmt.

Aktuelle Regeln sind unzureichend und werden umgangen

Bisherige Regulierungsversuche reichen nicht aus, um die genannten gesellschaftlichen Risiken angemessen zu adressieren. Sie bauen auf das Prinzip von „Transparenz und Einwilligung“. Damit wird Verantwortung auf Individuen verlagert und kein hinreichender Schutz gewährleistet.

Laut DSGVO muss eine Einwilligung zur Datenverarbeitung und -weitergabe seitens der Nutzer:innen informiert, freiwillig, spezifisch und eindeutig geschehen. Aufgrund hoher Komplexität, Intransparenz und fehlender Kontrolle des Online-Werbemarkts ist dies aktuell praktisch unmöglich und wird regelmäßig umgangen.

Eine Ergänzung besteht mittlerweile im DSA. Hier sind jedoch nur eng eingegrenzte Anwendungsbereiche geregelt und es wird auf freiwillige Selbstverpflichtung von Plattformen gesetzt. Die Risiken durch personalisierte Werbung werden zwar betont und die Profilbildung mittels besonders sensibler Daten (z. B. von Minderjährigen) verboten.

Indirekt sind jedoch alle Internetnutzer:innen durch die gesellschaftlichen Risiken gefährdet. Tracking-basierte personalisierte Werbung stellt unserer Meinung nach ein systemisches Risiko nach Art. 34 §1 b) und c) des DSA dar: Sie kann sich wie oben beschrieben negativ auf die Ausübung der Grundrechte wie den Schutz personenbezogener Daten, das Recht auf Nichtdiskriminierung und den umfangreichen Verbraucherschutz (Art. 8, 21 und 38 der Charta der Grundrechte der EU) auswirken. Außerdem kann sie negative Konsequenzen für die gesellschaftliche Debatte, Wahlprozesse und die öffentliche Sicherheit haben.

Die EU sollte die Berichte der sehr großen Plattformen auf systemische Risiken prüfen und mit geeigneten Maßnahmen darauf reagieren (Art. 35 DSA). Es ist jedoch zu befürchten, dass Plattformen ihr Kerngeschäftsmodell nicht freiwillig aufgeben werden. Das zeigt eine zuletzt verstärkt diskutierte Ausweichstrategie großer Unternehmen zur Umgehung der gesetzlichen Regelungen durch Pay-or-ok-Modelle (auch Pur-Abo-Modelle). Sie gewähren Nutzer:innen gegen Bezahlung einen Zugang ohne Tracking. Da vertrauenswürdige Kommunikationsinfrastrukturen im Alltag unerlässlich sind, sollten entsprechende Angebote aber für alle frei zugänglich sein.

Dies bestätigt auch eine Entscheidung der Europäischen Datenschutzbehörde, die Pay-or-ok-Modelle aufgrund fehlender echter Wahlmöglichkeit für Nutzer:innen als unzulässig eingestuft hat. Das Wissen, dass bereits geringste Beträge 99,9 % der Nutzer:innen dazu verleiten, Tracking für Werbezwecke „zuzustimmen“, wird durch die Vorhaltung von Pay-or-ok-Zugängen gezielt zur Legitimation der weiteren Finanzierung durch personalisierte Werbung ausgenutzt. Zudem greift der DSA nur für Plattformen, während der Werbedatenmarkt viele Akteure versammelt (z. B. AdTech-Unternehmen, Verlage, Werbeagenturen und Daten-Broker).

Alternativen aus der Nische holen

Die EU sollte weiter darauf hinarbeiten, verbraucher- und klimaschutzkonforme Online-Angebote und Plattformen zu stärken. Als Teil der gesellschaftlichen Infrastruktur sollten digitale Plattformen auf Privacy-by-Design-Ansätze aufbauen. Dies ist möglich durch das Schalten kontextbasierter Werbung anstelle der Personalisierung von Werbeanzeigen durch Personen- und Verhaltensanalysen, die auf einer umfassenden und sehr engmaschigen Verfolgung des Online-Verhaltens ihrer Nutzer:innen basieren.

Ein Ende dieser Praktiken innerhalb der EU könnte Filterblasen aufbrechen, Desinformation erschweren und die gezielte Manipulation einzelner Personengruppen stark eindämmen. Kontextbasierte Werbung ist eine geeignete Alternative unter vielen. Ihre Stärkung kann ein wirksamer Hebel dafür sein, kleine und mittlere Unternehmen (z. B. Medien- und Pressehäuser) aus der Abhängigkeit von sehr großen Tech-Unternehmen zu befreien, die aktuell den Werbemarkt dominieren und Werbepraktiken in ihrem Interesse vorantreiben. Plattformen, die sich nicht durch personalisierte Werbung finanzieren, können sich in den gegenwärtigen monopolistischen Strukturen jedoch kaum durchsetzen.

Verbot von personalisierter Werbung in die Wege leiten

Mit einem Verbot Tracking-basierter personalisierter Werbung wird die Stärkung nachhaltiger Alternativmodelle angereizt bzw. faktisch erst ermöglicht. Nachhaltige und erprobte Konzepte für effektive Online-Werbung, welche ohne gezieltes Tracking und Personalisierung auskommen, stehen der Werbebranche zur Verfügung (z. B. kontextbasierte Werbung).

Mit der Vorgabe, dass alternative Werbemodelle personalisierte Werbung ersetzen sollen, kann die Kommission den Online-Werbemarkt bei einer zeitgemäßen Umgestaltung unterstützen und sich stärker für Klimaschutz und digitale Grundrechte einsetzen. Wir empfehlen der EU-Kommission daher, einen Rechtsakt zum Verbot von personalisierter Werbung in die Wege zu leiten. Der kürzlich angekündigte Digital Fairness Act kann dafür ein Momentum bieten.

Links:

Dieses Positionspapier als pdf-Datei.