Die umstrittene großflächige Videoüberwachung in Köln muss nach jahrelangem juristischen Kampf der Initiative „Kameras stoppen“ und einem Urteil des Verwaltungsgerichts rückgebaut werden. Es bleibt die Frage: Ist bei den Datenschutzbehörden noch jemand wach?
Nach einem sechs Jahren dauernden Gerichtsverfahren gegen die permanente Videoüberwachung und das massenhafte Filmen von Unschuldigen durch die Polizei in mehreren Stadtteilen von Köln hat das Verwaltungsgericht gestern ein Urteil gefällt: Die Videoüberwachung ist zwar im Grundsatz rechtmäßig, aber viel zu weitgreifend.
Ein Teil der Überwachungsbereiche wird künftig nicht mehr unter permanenter Beobachtung stehen. Auch bei Demonstrationen muss die Polizei fortan die Videoüberwachung deaktivieren.
Den Teilerfolg vor dem Verwaltungsgericht Köln kommentiert Calvin Baus, Sprecher des CCC und sachkundige Auskunftsperson für den Kläger und die Klägerin der Initiative „Kameras stoppen“: „Zwar sind die Grundrechte aller Menschen, die in den dauerüberwachten Bereichen wohnen oder arbeiten, nun besser geschützt, allerdings wurde über die massive Einschränkung ihrer Privatsphäre gar nicht gesprochen. Denn dafür ist die Landesbeauftragte für den Datenschutz zuständig, die hier seit Jahren untätig ist.“
Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist durch das Urteil klar gestärkt worden: Auf Demonstrationen in Köln dürfen politische Meinungen wieder ohne permanente Überwachung geäußert werden. Aber ob die polizeiliche Videoüberwachung in Datenschutzfragen den rechtlichen Vorgaben genügt, wurde inhaltlich nicht geklärt. Ob das nämlich in Fragen der informationellen Selbstbestimmung der betroffenen Menschen rechtens ist, blieb offen.
Der Grund liegt darin, dass die zuständige Datenschutzbeauftragte seit mehreren Jahren keine Anstalten macht, ihren behördlichen Aufgaben nachzukommen. Damit reiht sie sich in eine lange Liste von Beispielen ein, in denen die Aufsichtsbehörden schnarchen, während rechtlich fragwürdige Experimente mit Daten aus der Bevölkerung vorangetrieben werden.
Aktuell testen die Polizeibehörden neue offene und verdeckte Überwachungstechnologien live an der Bevölkerung: So probiert die Hamburger Polizei beispielsweise die automatisierte Verhaltenserkennung, während in der halben Republik mittlerweile die biometrische Gesichtserkennung anläuft – auch in Echtzeit. Doch die Datenschutzbeauftragten erfahren erst durch die Presse oder durch Abgeordnete davon. Und wenn sie es mitbekommen haben, schlagen sie nicht mal mehr Alarm.
Dass die Polizei regelmäßig die chronisch unterbesetzten Datenschutzbehörden außen vor lässt, hat System. Doch die Aufsichtsbehörden spielen dabei mit und suchen im Zweifel sogar im Nachhinein für die Polizei noch nach einer Rechtsgrundlage, um Überwachungsmaßnahmen zu rechtfertigen.
In Sachsen, Berlin, Niedersachsen, Hamburg, Brandenburg, beim BKA oder wie in diesem Fall in Nordrhein-Westfalen enttäuschen die Datenschutzkontrollbehörden.
„Wir brauchen dringend Datenschutzbehörden, die ihren Aufgaben gewachsen sind und ihre Kontroll- und Untersagungsbefugnisse einsetzen – und im Zweifel vor Gerichten verteidigen“, so Calvin Baus. „Dass Privatpersonen in jahrelangen gerichtlichen Streitigkeiten Grundrechte gegen polizeiliche Überwachungsauswüchse verteidigen müssen, darf nicht der Normalfall werden.“
Initiative „Kameras stoppen“, Aktenzeichen 20 K 4855/18; 20 K 6705/20; 20 K 6706/20; 20 K 6707/20; 20 K 6708/20; 20 K 6709/20; 20 K 2682/24, die schriftliche Urteilsbegründung wird noch erwartet.