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Positionspapier: Alle gegen Chatkontrolle

2022-10-19 06:44:45, linus

Zusammen mit dem Netzwerk European Digital Rights (EDRi) veröffentlicht der CCC ein umfassendes Positionspapier: „A safe Internet for all: upholding private and secure communications“ und erklärt, wie fehlgeleitet der Verordnungsentwurf ist.

Seit Vorstellung der „Chatkontrolle“-Verordnung hagelt es Kritik von allen Seiten. Nicht nur zivilgesellschaftliche Organisationen warnen vor den Gefahren. Auch der Bundesrat und der oberste UN-Kommissar für Menschenrechte fordern die Zurücknahme der Verordnung. Sogar der Kinderschutzbund hält den Vorschlag für unverhältnismäßig und nicht zielführend.

Das Netzwerk European Digital Rights erklärt im Positionspapier „A safe Internet for all: upholding private and secure communications“, wie fehlgeleitet der Verordnungsentwurf ist. Dafür waren mehr als fünfzig Seiten notwendig.

Verordnung geht am Problem vorbei und schafft stattdessen neue

EDRi kritisiert, dass sich die Verordnung ausschließlich auf die Verbreitung im Internet, nicht aber auf die eigentliche Anfertigung von dokumentiertem Kindesmissbrauch fokussieren will. Doch auch um dem Phänomen der Verbreitung entgegenzutreten, sind die vorgeschlagenen Maßnahmen ungeeignet. Sinnvolle Maßnahmen, wie eine Stärkung der Ermittlungskapazitäten sowie die angemessene Ausstattung von Institutionen, die sich aktiv für den Schutz von Kindern einsetzen, lässt der Vorschlag vollkommen außer Acht. In seiner jetzigen Ausgestaltung erzeugt er sogar das Gegenteil, da die enormen Mengen an Falschmeldungen, die sich aus der Verordnung zwangsläufig ergeben werden, die Ermittlungen gegen die Täter noch schwieriger machen könnten.

Kommissarin nimmt Bedenken nicht ernst

Am 10.10.2022 stellte Kommissarin Ylva Johansson ihren Vorschlag zur „Chatkontrolle“ in einer Anhörung des LIBE-Ausschusses des Europa-Parlaments vor. Der Ausschuss fragte Kommissarin Johansson mehrfach, inwiefern der Entwurf notwendige, vor allem aber auch verhältnismäßige Maßnahmen vorsehe. Antworten darauf konnte oder wollte sie aber nicht liefern. Auch machte die Kommissarin nochmals deutlich, dass sie sich bei der technischen Umsetzung der Maßnahmen blind auf die von der Industrie ohne Beleg behaupteten Trefferquoten von Inhaltsfiltern verließ. Auf die berechtigte Sorge, dass auch geringe Fehlerquoten für eine massive Überlastung der Ermittlungsbehörden und schwerwiegende Konsequenzen für die fälschlich Beschuldigten führen werden, ging sie nicht ein. Stattdessen fiel Johansson mit an „Fake News" grenzenden Fehlinformationen auf.

Rechtlich mehr als fragwürdig

Die Verordnung widerspricht großen Teilen der gültigen EU-Gesetzgebung, insbesondere im Bereich der Grundrechte und des Verbots der allgemeinen Überwachungspflichten. Sie verschiebt den Schutz von Kindern in den Bereich der privaten Wirtschaft, weg von tatsächlich zuständigen Ermittlungsbehörden. Dies würde existierende Prozesse komplexer machen, was die bestehenden Bemühungen zum Kampf gegen dokumentierten Kindesmissbrauch behindern kann. Dass die Verordnung in der vorgeschlagenen Form weder mit dem Grundgesetz noch mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar ist, bestätigt auch eine Studie der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags.

Technisch nicht umsetzbar

Die Verordnung zeigt ein naives Vertrauen in Überwachungstechnologie als Wunderwaffe – entgegen der Warnungen von hunderten Expert:innen im Bereich der IT-Sicherheit und Menschenrechte. Es ist technisch schlicht nicht möglich, die Anforderungen der Verordnung umzusetzen, ohne Grundrechte fundamental zu verletzen – eine Tatsache, die geflissentlich ignoriert wird. Ein who-is-who der internationalen IT-Security-Community kritisierte schon 2021, dass das als „grundrechtsschondend" dargestellte „Client Side Scanning“ vertrauliche Kommunikation genauso unterwandert wie alle anderen Methoden zur Umgehung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Schlimmer noch: Durch die Verordnung würde das eigene Gerät zum Überwachungswerkzeug, das jegliche Kommunikation schon vor Verschlüsselung und Versand auf verdächtige Inhalte prüft.

Ansatz scheitert bereits in der Praxis

Eine Anfrage des Irish Council for Civil Liberties (ICCL) bei der irischen Polizei ergab, dass es sich bei 80% der insgesamt 4.192 NCMEC-Meldungen (National Center for Missing & Exploited Children), die im Jahr 2020 bei der irischen Polizei eingingen, um Falschmeldungen handelte. Von den wenigen korrekt positiven Meldungen konnte nur ein Drittel erfolgreich verfolgt werden. Weiter ergab die Befragung, dass die irischen Behörden die mit den Falschmeldungen übermittelten IP-Adressen trotzdem weiterhin speicherte. Schon jetzt landen also Daten von zu Unrecht beschuldigten Personen dauerhaft in Polizeidatenbanken.

Strafverfolgungsbehörden schon heute überlastet

Auch die niederländische Polizei hat bei einer Anhörung durch das Parlament klar auf die Überlastung durch die Datenmengen aufmerksam gemacht

"[...] Bald werden wir ein neues Gesetz [in den Niederlanden] haben, das regelt, dass sexuelles Chatten mit Minderjährigen strafbar wird. Das wird also schon eine Herausforderung sein, damit umzugehen [...] Die aktuelle Masse an Meldungen ist jetzt schon schwer zu bearbeiten, eine weitere Regelung würde zur vollständigen Überlastung führen."

Kritik aus der Zivilgesellschaft

Ein breites Bündnis an zivilgesellschaftlichen Organisationen engagiert sich auf Bundesebene und EU-Ebene gegen den gefährlichen und unsinnigen Vorstoß.

Das Positionspapier ist hier zum Download verfügbar. Wir laden alle mit der Verordnung befassten Personen ein, dieses Dokument ausnahmsweise auch mal zu lesen.