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Offener Brief an die Bundesregierung: Angemessene Fristen statt Scheinbeteiligung

2020-12-18 08:34:23, salgar

Die Beteiligung der Zivilgesellschaft und das Einholen von externem Sachverstand für Gesetzesvorhaben sollen nicht mehr nur simuliert werden: Weil die sachkundige Beurteilung von Gesetzentwürfen Zeit kostet, die von den Bundesministerien aber immer weniger vorgesehen wird, wenden sich heute fünfzehn Verbände und Vereine, darunter der Chaos Computer Club, mit einem offenen Brief und klaren Forderungen an die Minister und Ministerinnen.

Es besteht sofortiger Handlungsbedarf, um nicht noch mehr Gesetzesideen auf den Weg zu bringen, die gar nicht oder nur unter enormem Zeitdruck von Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Verbänden und Fachleuten bewertet wurden. Wenige Tage zur schnellen Durchsicht sind mittlerweile mehr Regel als Ausnahme, aber inakzeptabel für eine kompetente Auseinandersetzung mit oft komplexen Gesetzesvorhaben. Daher muss die derzeitige Praxis der viel zu kurzen Zeiträume zur Stellungnahme unmittelbar beendet werden. [1]

Deshalb setzt sich auch der CCC mit diesem offenen Brief für angemessene Fristen ein und gegen eine bloße Scheinbeteiligung:

Wortlaut des Briefes

Sehr geehrte Bundesminister*innen,

die Beteiligung von Zivilgesellschaft und Verbänden an Gesetzgebungsprozessen ist ein elementarer Bestandteil unserer Demokratie. Deshalb ist in § 47 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) auch eine „möglichst frühzeitige“ Zuleitung an Verbände vorgesehen.

Leider werden seitens der Bundesministerien in zunehmendem Maße Stellungnahmen zu Gesetzesvorschlägen in weniger als drei Arbeitswochen – teilweise von gerade einmal wenigen Werktagen – erwartet. Trauriger Tiefpunkt waren im Dezember 2020 die Anfragen zu Stellungnahmen für den 4. Referentenentwurf zum IT-Sicherheitsgesetz 2.0 mit einer Kommentierungsfrist von 28 Stunden (bei 108 Seiten) und zur Novellierung des Telekommunikationsgesetzes mit einer Frist von 2 Tagen (bei 465 Seiten).

Wir, die unterzeichnenden Vereine, Stiftungen, Initiativen und Verbände dieses Briefes, fordern Sie als Ressortleiter*in auf, die Verbändebeteiligung als wichtiges Werkzeug demokratischer Teilhabe zukünftig wieder ernsthafter zu verfolgen. Die Einbindung von Zivilgesellschaft und Verbänden liefert wichtige inhaltliche Anregungen, ermöglicht es, Meinungen und Expertise aus Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft einzuholen und wirkt der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft und der Politikverdrossenheit entgegen. Wir sehen daher folgenden Handlungsbedarf:

  1. Angemessene Fristen für die Kommentierung von Gesetzesentwürfen

  2. Expertise benötigt Zeit. Unser Anspruch ist, Ihnen fundierte Rückmeldung aus unseren jeweiligen Fachgebieten zu den Gesetzgebungsvorhaben zu liefern. Die Einbeziehung unserer Fachexpert*innen benötigt jedoch immer einen ausreichenden Vorlauf. Dies gilt insbesondere für Organisationen, die auf dem Engagement Ehrenamtlicher fußen. Diesen ist es rein organisatorisch nur schwerlich möglich, eine fundierte Stellungnahme innerhalb weniger Tage auszuarbeiten.

    Wir erwarten daher, bei allen künftigen Gesetzgebungsprozessen mindestens vier Arbeitswochen für die Anfertigung von Stellungnahmen einzuräumen. Die Bemessung der Frist sollte sich zudem an der Länge eines Entwurfes orientieren. Denkbar wäre eine Festschreibung von je einer Woche für je 50 Seiten Entwurfsdokument, nicht jedoch weniger als vier Wochen.

  3. Bereitstellung von Synopsen zur besseren Vergleich- und Nachvollziehbarkeit

  4. Insbesondere wenn, wie im Falle des IT-Sicherheitsgesetzes 2.0, innerhalb weniger Wochen neue Referentenentwürfe geteilt werden, sollte den Anfragen nach Stellungnahme eine Synopse zur vorherigen Version zur besseren Nachvollziehbarkeit der Änderungen beigefügt werden.

  5. Veröffentlichung der Referentenentwürfe auf den Websites der Ministerien

  6. Im Sinne eines transparenten Gesetzgebungsprozesses sollten sämtliche Referentenentwürfe, für die Stellungnahmen bei Verbänden eingeholt werden, und Synopsen öffentlich zugänglich sein. Die Entwürfe sollten zeitgleich mit ihrem Versand an die Verbände auf den Websites der Bundesministerien veröffentlicht werden.

  7. Eine Öffnung des Partizipationsprozesses

    Die Beteiligung der Zivilgesellschaft sollte weiter vereinfacht werden. Nach dem Vorbild der Online-Konsultationsverfahren der Europäischen Union sollte neben der Veröffentlichung aller Referentenentwürfe und Synopsen auch die Kommentierungsmöglichkeit für weitere zivilgesellschaftliche Akteure geöffnet werden. Bisher handelt es sich um eine intransparente Auswahl durch die federführenden Ministerien.

Sehr geehrte Bundesminister*innen, wir verstehen unsere Vorschläge als Beitrag zu einem demokratischeren, kooperativeren und inklusiveren Gesetzgebungsprozess und sehen hinsichtlich der Einräumung längerer Kommentierungsfristen dringenden Handlungsbedarf. Anbei finden Sie eine exemplarische Auflistung vergangener Gesetzgebungsvorhaben mit unzureichenden Fristen.

Mit freundlichen Grüßen,

Gesellschaft für Informatik e. V. (GI)

Stiftung Neue Verantwortung

eco – Verband der Internetwirtschaft e. V.

Open Knowledge Foundation Deutschland

Verbraucherzentrale Bundesverband e. V.

Transparency International Deutschland e. V.

Chaos Computer Club (CCC)

BITMi – Bundesverband IT-Mittelstand e. V.

Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V.

IfKom - Ingenieure für Kommunikation e. V.

Digitale Gesellschaft e. V.

LOAD e. V. - Verein für liberale Netzpolitik

D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt e. V.

IEN Initiative Europäischer Netzbetreiber

Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit (GDD) e. V.

 

Links:

[0] Offener Brief mit exemplarischer Auflistung vergangener Gesetzgebungsvorhaben mit unzureichenden Fristen: https://gi.de/meldung/offener-brief-ausreichende-fristen-fuer-verbaendebeteiligung

[1] Innenministerium sabotiert sachkundige Diskussion zum IT-Sicherheitsgesetz 2.0: https://www.ccc.de/de/updates/2020/itsichg