Der Chaos Computer Club (CCC) schließt sich der gemeinsamen „Deklaration für die Meinungsfreiheit“ gegen das geplante Netzwerkdurchsetzungsgesetz an. Denn selbst wenn man die vordergründig betroffenen kommerziellen Plattformen wie Facebook oder Twitter nicht nutzt: Das Gesetz erzwingt ein privatisiertes Zensur-Regime, das legitime Meinungen, Bilder oder Filme unterdrücken und unsichtbar machen wird. Dem stellen wir uns vehement entgegen.
Meinungsfreiheit findet oft in einem Graubereich statt: Auch was nicht gesellschaftlicher Konsens, provokativ oder einfach nur frech ist, darf gesagt werden. Dies sichert den freien Diskurs, der teils schwer zu ertragen ist, unsere Gesellschaft aber voranbringt.
Genau in diesem Graubereich werden die Plattformen, auf denen viele Diskussionen stattfinden, nun durch das geplante Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) unter Druck gesetzt. Durch die Bußgeld-Struktur und die kurzen Fristen werden die Unternehmen motiviert, im Zweifel lieber zu löschen, als eine Strafe zu riskieren. Schon heute sind auf den großen Plattformen Zensurtendenzen zu beobachten, die zur Unterdrückung von Minderheiten-Ansichten, progressiven Ideen und unpopulären Meinungen führen.
Frank Rieger, Sprecher des CCC, sagte: „Warum soll die oft schwierige Entscheidung, was rechtens ist und was nicht, an ein privates Unternehmen delegiert werden, das vorwiegend ein Profitinteresse hat? Im Sinne des Unternehmens kann es nur sein, das Problem möglichst effizient aus dem Weg zu räumen. Dadurch macht Justizminister Heiko Maas hier den ersten Schritt zu einer automatisierten, privatisierten Zensur.“
Die kommunikative Flurpflege im Netz sollte weder Konzernen noch aufgebrachten Mobs überlassen werden, die unliebsame Ansichten großflächig als anstößig melden. Stattdessen wäre eine Modernisierung der rechtsstaatlichen Prozesse nötig, so dass sie mit der Kommunikationsgeschwindigkeit des 21. Jahrhunderts mithalten können.
In Reaktion auf die Verabschiedung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) durch das Bundeskabinett am 5. April 2017 bringt eine breite Allianz von Wirtschaftsverbänden, netzpolitischen Vereinen, Bürgerrechtsorganisationen und Rechtsexperten ihre Sorgen um die Auswirkungen auf den öffentlichen Diskurs in Deutschland zum Ausdruck. In einer gemeinsamen „Deklaration für die Meinungsfreiheit“ warnen sie vor den katastrophalen Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit, sollte das NetzDG vom Bundestag verabschiedet werden.
Die Unterzeichner sind der Auffassung, dass eine politische Gesamtstrategie notwendig ist, um das Aufkommen von Hassrede und absichtlichen Falschmeldungen im Netz einzudämmen. Sie erkennen an, dass Handlungsbedarf besteht, aber der Gesetzentwurf genügt nicht dem Anspruch, die Meinungsfreiheit adäquat zu wahren. Im Gegenteil, er stellt die Grundsätze der Meinungsfreiheit in Frage.
in Reaktion auf die Verabschiedung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) durch das Bundeskabinett am 5. April 2017:
Meinungsfreiheit hat einen essentiellen und unabdingbaren Stellenwert in einer von demokratischen Werten geprägten Gesellschaft. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist als Teil der Kommunikationsfreiheiten wie auch die Presse- und die Rundfunkfreiheit in besonderem Maße geschützt. Das Recht auf Meinungsfreiheit findet seine Grenzen erst dort, wo die Rechte und die Würde anderer verletzt werden. Das Recht auf Meinungsfreiheit, aber auch seine Einschränkung, gelten dabei online wie offline.
Zuletzt ist der zulässige Umfang der Meinungsfreiheit in die Diskussion geraten durch den aufgrund zahlreicher Vorkommnisse hervorgerufenen Eindruck, absichtliche Falschmeldungen und Hassrede bestimmten oftmals den öffentlichen Diskurs. Um diesem Phänomen Herr zu werden, hat das Bundeskabinett das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) beschlossen, das vom Deutschen Bundestag noch vor dem Sommer verabschiedet werden soll. Vor diesem Hintergrund möchten die Unterzeichner dieser Deklaration ihre Unterstützung für die folgenden drei Grundsätze zum Ausdruck bringen:
Gegen strafrechtlich relevante/rechtswidrige Inhalte muss effektiv vorgegangen werden können. Und zwar mit allen gebotenen und verhältnismäßigen, dem Staat zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei ist es Aufgabe der Justiz, zu entscheiden, was rechtswidrig oder strafbar ist und was nicht. Auch die Durchsetzung solcher Entscheidungen darf nicht an einer mangelnden Ausstattung der Justiz scheitern. Internetdiensteanbietern kommt bei der Bekämpfung rechtswidriger Inhalte eine wichtige Rolle zu, indem sie diese löschen bzw. sperren. Sie sollten jedoch nicht mit der staatlichen Aufgabe betraut werden, Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von Inhalten zu treffen.
Die Meinungsfreiheit ist ein kostbares Gut. Sie geht so weit, dass eine Gesellschaft auch Inhalte aushalten muss, die nur schwer erträglich sind, sich aber im Rahmen der gesetzlichen Regelungen bewegen. Die Demokratie nährt sich an einem pluralistischen Meinungsbild.
Jede Gesetzgebung sollte sicherstellen, dass der Ausgleich verfassungsrechtlich geschützter Interessen hergestellt wird. Die Meinungsfreiheit jedes Einzelnen und die Informationsfreiheit aller darf nicht darunter leiden, dass gegen rechtswidrige oder strafbare Inhalte vorgegangen wird. Gerade bei solchen Inhalten, bei denen die Rechtswidrigkeit nicht, nicht schnell oder nicht sicher festgestellt werden kann, sollte kein Motto „Im Zweifel löschen/sperren“ bestehen, denn ein solches Vorgehen hätte katastrophale Folgen für die Meinungsfreiheit.
Der vom Kabinett beschlossene Entwurf eines NetzDG stellt diese Grundsätze in Frage, weil er staatliche Aufgaben der Rechtsdurchsetzung an Privatunternehmen übertragen würde. Die Androhung hoher Bußgelder in Verbindung mit allzu kurzen Reaktionsfristen verstärkt die Gefahr, dass sich Plattformbetreiber im Zweifel zu Lasten der Meinungsfreiheit und für die Löschung oder Sperrung solcher Inhalte entscheiden, die sich im Graubereich befinden. Die Prüfung der Strafbarkeit oder Rechtswidrigkeit eines Inhalts bedarf zudem regelmäßig einer genauen Betrachtung des Kontexts und der Intention einer Äußerung. Diese Aufgabe muss auch weiterhin von Gerichten übernommen werden.
Wir sind der Auffassung, dass eine politische Gesamtstrategie notwendig ist, um das Aufkommen von Hassrede und absichtlichen Falschmeldungen im Netz einzudämmen. Wir erkennen an, dass Handlungsbedarf besteht, aber der Gesetzentwurf genügt nicht dem Anspruch, die Meinungsfreiheit adäquat zu wahren. Im Gegenteil, er stellt die Grundsätze der Meinungsfreiheit in Frage. Absichtliche Falschmeldungen, Hassrede und menschenfeindliche Hetze sind Probleme der Gesellschaft und können daher auch nicht durch die Internetdiensteanbieter allein angegangen werden – dafür bedarf es der Kooperation von Staat, Zivilgesellschaft und der Anbieter. Wir setzen uns daher für eine gesamtgesellschaftliche Lösung ein, durch die strafwürdiges Verhalten konsequent verfolgt wird, Gegenrede und Medienkompetenz gestärkt werden und ein die Meinungsfreiheit respektierender Rechtsrahmen für die Löschung oder Sperrung rechtswidriger Inhalte erhalten bleibt.
Zu den unterzeichnenden Organisationen zählen:
Amadeu-Antonio-Stiftung
Bitkom (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V.)
BITMi (Bundesverband IT-Mittelstand e. V.)
BIU (Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e. V.)
Bundesverband Deutsche Startups e. V.
BVDW (Bundesverband Digitale Wirtschaft e. V.)
Chaos Computer Club e. V.
cnetz – Verein für Netzpolitik e. V.
D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt e. V.
Digitale Gesellschaft e. V.
DJV (Deutscher Journalisten-Verband e. V.)
eco (Verband der Internetwirtschaft e. V.)
FSM (Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e. V.)
ISOC.DE (Internet Society, German Chapter e. V.)
LOAD e. V.
Open Knowledge Foundation Deutschland e. V.
Mehr Informationen und weitere Unterzeichner: http://deklaration-fuer-meinungsfreiheit.de/