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Chaos macht Schule: Forderungen für eine zeitgemäße digitale Bildung an unseren Schulen

Das Projekt „Chaos macht Schule“ vom Chaos Computer Club setzt sich dafür ein, Kinder und Jugendliche früh an Technik heranzuführen. Um dies auf zeitgemäße Weise zu schaffen, wurde auf Basis der Erfahrungen der letzten Jahre eine Forderungsliste für digitale Bildung an Schulen entworfen, die sich sowohl an die Bildungspolitik als auch an die mit den Kindern Arbeitenden richtet.

„Chaos macht Schule“ [0] arbeitet seit mehr als zehn Jahren mit Kindern und Jugendlichen, mit Lehrern und Lehrerinnen und mit Eltern. Einiges liegt im Argen, was die Bildungspolitik in Zusammenhang mit der Aneignung von Technik angeht. Deswegen wird es Zeit, diese Mängel zu benennen und unsere Lösungsideen vorzustellen.

Präambel

Das Internet und soziale Netzwerke stellen für Kinder und Jugendliche wichtige Lebens- und Kommunikationsräume dar, in denen sie sich frei bewegen und entfalten. Viele können sich ein Leben ohne Smartphones und kontinuierliche Vernetzung mit ihren Freunden nicht mehr vorstellen. Dennoch werden Inhalte der Medienkunde und Informatik nur unzureichend in unseren Schulen vermittelt. Daher entstand vor über zehn Jahren aus dem CCC heraus das Projekt „Chaos macht Schule“ zur Förderung von Medienkompetenz und Technikverständnis bei Lehrern und Lehrerinnen, Schülern und Schülerinnen und deren Eltern. Auf Basis der in diesem Projekt gewonnenen Erfahrungen haben wir fünf Forderungen für eine zeitgemäße Bildung an unseren Schulen entwickelt.

1. Digitale Mündigkeit der Schüler und Schülerinnen

Zeitgemäße Bildung muss die digitale Mündigkeit der Schüler und Schülerinnen als ein zentrales Ziel anstreben. Mündige Menschen sollen die digitalen Werkzeuge verstehen und hinterfragen können. Diese Fähigkeit ist unerlässlich, um an gesellschaftlichen und politischen Debatten teilhaben und eigenverantwortliche Entscheidungen treffen zu können. Wir müssen beispielsweise als ganze Gesellschaft darüber diskutieren, welche technischen und gesetzlichen Weichen für neue Entwicklungen wie selbstfahrende Fahrzeuge oder das Internet der Dinge zu stellen sind, und können dies nicht wenigen überlassen. Das Stellen sozialethischer Weichen kann nur durch einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs und nicht durch einzelne Expertengremien erfolgen.

Der bisherige Schwerpunkt der Bildungspolitik scheint darauf beschränkt, Schüler und Schülerinnen auf „die umfassende Digitalisierung in Beruf und Studium“ vorzubereiten bzw. sie den „selbstverständlichen Umgang mit Computern und Programmen“ [1] zu lehren. Digitale Mündigkeit muss jedoch über reines Anwendungswissen oder informatische Grundlagen wie das Programmieren hinausgehen. Schüler und Schülerinnen sollen keine bloßen Nutzer, sondern diejenigen werden, die ihre Maschinen wirklich kontrollieren und beherrschen.

Das bedeutet:

  • Open-Source-Werkzeuge sollen der Standard an Schulen werden.
  • Heranwachsende sollen an offene, anpassbare und erweiterbare Plattformen herangeführt werden.
  • Schüler sollen keine Werbeopfer werden und sind daher von kommerziellen Plattformen fernzuhalten, die ihr Verhalten zu Werbezwecken aufzeichnen und auswerten.

Mit der Vernetzung von Medien und der Möglichkeit der freien Verbreitung von Informationen durch beliebige Nutzer stellen sich der Gesellschaft zudem neue Herausforderungen bezüglich des Umgangs mit Nachrichtenmedien und der Informationsbewältigung. Denn wir stehen vor der Herausforderung, eine weitaus größere Informationsflut in kurzer Zeit zu erfassen, zu filtern und zu bewerten. Die Resultate der diesbezüglich verschlafenen Bildungspolitik sehen wir in der aktuellen Debatte um „alternative Fakten“.

Digitalpolitik darf nicht als technischer Randbereich verkannt werden, sondern muss als Grundpfeiler einer modernen Gesellschaftspolitik behandelt werden. Damit ist sie auch das Fundament einer funktionierenden und vorwärtsgewandten Bildungspolitik.

2. Fächerübergreifende Themen der digitalisierten Lebenswelt

Die Themen der digitalisierten Lebenswelt müssen fächerübergreifend betrachtet werden. Viele Schulen versuchen diese Themen in neu geschaffenen Fächern wie Medienkunde, Digitalkunde oder gar nur als Teil des Informatikunterrichts aufzugreifen. Da Computer aber mittlerweile in alle Bereichen des Lebens Einzug genommen haben, sind sie auch in alle Schulfächer zu integrieren.

Möchte man beispielsweise das Phänomen eines beliebigen sozialen Netzwerks verstehen, so reicht es nicht, dieses nur auf technischer Ebene zu betrachten. Denn man kann es kaum losgelöst von politischen, ökonomischen, ethischen bzw. juristischen Fragen in seiner Gesamtheit erfassen.

Die technologischen Entwicklungen haben außerdem grundlegende Auswirkungen auf Kernaspekte aller Unterrichtsfächer. Plattformen wie Wikipedia ersetzen klassische Literatur bei der Beschaffung von Informationen in Fächern wie Deutsch, Geschichte und den Sozialwissenschaften. Übersetzungssoftware ersetzt das klassische Wörterbuch. Die zunehmende Vernetzung und Verlagerung großer Teile unseres Soziallebens ins Digitale erfordert eine Auseinandersetzung mit den daraus resultierenden ethischen und gesellschaftlichen Folgen, was nicht zuletzt einen enormen Einfluss auf Fächer wie Sozial- und Gemeinschaftskunde oder Religion bzw. Ethik hat.

3. Stärkung der Lehrkräfte

Digitale Bildung erfordert vor allem die Stärkung unserer Lehrkräfte, aber auch die bessere technische Ausstattung von Schulen. Die Ausstattung ist nur ein Teil der Lösung, denn um die Technik sinnvoll nutzen zu können, müssen Computer im Unterricht und der mündige Umgang damit verpflichtende Themen jeder Aus- und Weiterbildung sein.

Das Bundesbildungsministerium unterstützt Schulen allerdings hauptsächlich finanziell bei der „digitale[n] Ausstattung wie Breitbandanbindung, WLAN und Geräten“ [2]. Dies führt zu drei grundlegenden Problemen:

Das bedeutet:

  • Der rasante technische Fortschritt führt dazu, dass angeschaffte Geräte teils schneller veralten, als die Lehrkräfte befähigt werden, die Geräte angemessen in ihren Unterricht zu integrieren.
  • Die Schulen und deren Lehrkräfte verfügen nicht über genügend zeitliche und personelle Ressourcen, um die Geräte angemessen zu administrieren. Die Informatiklehrer und Informatiklehrerinnen, die diese Tätigkeiten meist nebenher durchführen, wurden in der Regel nicht für administrative Aufgaben ausgebildet.
  • Betrachtet man vor allem die technischen Geräte, geraten weitere Facetten der digitalen Mündigkeit in den Hintergrund. Um zu lernen, wie digitale Medien wie beispielsweise das Internet grundlegend funktionieren, ist nicht zwingend eine technische Ausstattung notwendig.

Schulen benötigen deshalb hauptamtliche Administratoren, um die Einbindung digitaler Technologien in jeden Unterricht sinnvoll zu bewerkstelligen.

Es ist besorgniserregend, dass die Bildungspolitik bis heute nicht in der Lage war, geeignete Konzepte in der Ausbildung neuer Lehrkräfte zu etablieren. Obwohl entstandene Herausforderungen durch die Digitalisierung seit Jahren bekannt sind, scheinen die zuständigen Ministerien bis heute keinen Druck zu verspüren, zeitnah durch die Anpassung von Lehrinhalten an Universitäten und in den Seminaren für Lehrerbildung eine zeitgemäße Bildung voranzutreiben.

Neben Weiterbildungsangeboten für ausgebildete Lehrkräfte muss es vor allem für unsere Lehramtsstudenten und -studentinnen Kurse geben, die sie auf die Chancen und Herausforderungen des digitalisierten Unterrichts adäquat vorbereiten. Um den internationalen Anschluss nicht weiter zu verlieren, muss die Bildungspolitik endlich Fahrt aufnehmen. Immerhin wird es bei einer Integration in die universitäre Lehrerausbildung viele Jahre dauern, bis entsprechend geschultes Lehrpersonal verfügbar wird. Um diese Zeit zu verkürzen, könnten entsprechende Inhalte übergangsweise auch im Referendariat vermittelt werden.

4. Vorbilder schaffen

Lehrer und Lehrerinnen müssen im Umgang mit digitalen Medien Vorbilder sein, etwa beim sorgsamen Umgang mit Passwörtern oder bei der Verarbeitung und Übertragung schülerbezogener Daten. Lehrkräfte sollen Vorbilder für ihre Schüler und Schülerinnen auch bezüglich ihres Umgangs mit digitalen Medien sein. Im Rahmen von „Chaos macht Schule“ beobachten wir regelmäßig, dass zu wenig Wert auf IT-Sicherheit und Datenschutz gelegt wird. Lehrer und Lehrerinnen scheinen sich dem obigen Vorbildmechanismus nicht immer bewusst zu sein bzw. versuchen, sich diesem zu entziehen. Sie müssen deshalb für die beschriebenen Probleme sensibilisiert werden und ihre Vorbildrolle aktiv gestalten.

Das Vermitteln von Wissen über IT-Sicherheit und verantwortungsvollen Umgang mit Daten muss künftig selbstverständlicher Teil der Schulbildung werden. Dazu gehört auch das vorbildhafte Verhalten der Bildungsinstitutionen selbst.

5. Externe Experten einbinden

Zur kurzfristigen Umsetzung einer zeitgemäßen technischen Bildung müssen auch externe Experten eingebunden werden. In den letzten Jahren sind zahlreiche Initiativen mit Fokus auf digitale Bildung entstanden, die mit Schulen kooperieren. Viele dieser teilweise ehrenamtlichen Initiativen arbeiten an der eigenen Belastungsgrenze, was große Defizite in den Schulsystemen offenbart.

Mehrjährig bestehende Bildungspläne stehen in einem Gegensatz zu den immer schnelleren Entwicklungen der digitalen Welt. Nachdem die Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte zu digitalen Themen bis heute vernachlässigt wird, können diese nicht kurzfristig zu Experten und Expertinnen auf diesem Gebiet werden.

Fächerübergreifende digitale Bildung ist aus unserer Sicht unabhängig von der technischen Ausstattung an einer Schule umsetzbar. Dies ist möglich, wenn die vorhandenen Gelder nicht nur in die Lehreraus- und -weiterbildung fließen, sondern auch lokal tätigen Bildungsinitiativen zu Gute kommen. Sie leisten einen wichtigen Beitrag und müssen besser unterstützt werden. Beispielsweise Makerspaces [3] oder externe Angebote zum Einstieg in die Programmierung können die digitale Bildungslandschaft bereichern, ohne einseitig auf die Bildungsangebote von Großkonzernen setzen zu müssen. Solche Kooperationen sollten auch eine nachhaltige Entwicklung der Bildungslandschaft fördern. Bildungsangebote von Großkonzernen sind dabei zu meiden, da die Gefahr besteht, dass diese primär ihre eigenen wirtschaftlichen Ziele voranbringen möchten – also beispielsweise die Ausbildung neuer Programmierer und Programmiererinnen im Zeitalter des Fachkräftemangels oder die Akzeptanz für die eigenen Systeme.

Links:

[0] Chaos macht Schule

[1] Schulsenator Rabe in seiner Funktion als Sprecher der SPD- und Grün-geführten Kultusministerien im Dezember 2016

[2] Bildungsministerin Wanka im Oktober 2016

[3] Beispiel: Makerspace in Bibliothek